Die grundlegende Botschaft

Anlässlich des Sachsentreffens am 5. August 2017, zu dem an die 20.000 ausgewanderte Siebenbürger Sachsen aus aller Welt nach Hermannstadt kamen, hielt Klaus Johannis, seit Dezember 2014 Staatspräsident Rumäniens, auf dem Großen Ring eine Rede, die folgenden Kernsatz enthielt:

Die grundlegende Botschaft der Geschichte der Siebenbürger Sachsen, zu lesen in den Steinen der Kirchenburgen, den Büchern, den Traditionen, ist jene, Gott unentwegt zu suchen und nie aufzuhören für die Freiheit zu kämpfen. Es ist eine Mahnung, den anderen zu respektieren, Solidarität und Toleranz zu üben.“

Foto: Johannis Baumgartl

Damit fasste er in einer prägnanten Aussage zusammen, sowohl die Werte der Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen, als auch deren gesellschaftliche Ausrichtung durch 800 Jahre hindurch und schließlich, was von dieser Epoche bleiben wird. Die Kirchenburgen sind entstanden als Ausdruck dieser gelebten Prinzipien und stehen auch dort, wo keine Sachsen mehr anzutreffen sind, als Symbol für eine Vergangenheit, mit der es sich auseinander zu setzen lohnt.

Die deutschsprachigen Siedler, die seit Mitte des 12. Jahrhunderts vom ungarischen König Géza II. aus dem Rhein-Moselgebiet angeworben worden waren, um im Karpatenbogen zu siedeln, das Land zu bebauen und die Ostgrenze Ungarns gegen Angriffe aus dem asiatischen Raum zu verteidigen, brachten ihr eigenes Know-how, ihre ersten Gerätschaften, Vieh, Saaten und Weinstöcke in das dünn besiedelte Gebiet mit, welches sie urbar machten. So behielten sie ihre Sprache, ihre tradierten Arbeitsweisen und ihren Glauben bei, was auch sofort darin Ausdruck fand, dass allerorten Kirchen im damals noch romanischen Stil entstanden. Die Kirchen wurden je nach Größe der sich entwickelnden Dorfgemeinschaften vergrößert, dabei gotisch umgebaut und bildeten nicht nur das geistliche, sondern auch das organisatorische Zentrum der in „Nachbarschaften“ eingeteilten Gesellschaft, die sich basisdemokratisch selbst verwaltete.

Ursprünglich war der Grund und Boden gerecht aufgeteilt worden: jeder Hof war eine Hufe groß, Wald und Weiden waren Allmende. Die Kirche gehörte allen, und musste auch von allen gemeinsam instand gehalten werden. Angriffe von Reiterhorden aus dem Süden und Osten stellten allerdings tatsächlich eine reale Bedrohung für die Dörfer dar, die immer wieder geplündert und niedergebrannt wurden. An einigen Orten entstanden Fliehburgen für die Bevölkerung, überwiegend wurden jedoch die Kirchen in Dorfmitte selbst mit Schutzmauern umgeben.

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aus „Rumäniendeutsche zwischen Bleiben und Gehen“
VDA-Verlags- und Vertriebs-GmbH, erschienen 1987

Befestigungstürme, Basteien und oft sogar der Kirchenbau wurden mit Wehrgeschossen, Schießscharten, Pechnasen und weiteren Verteidigungsvorrichtungen verstärkt. In einigen gab es mehrgeschossige Wohn- und Vorratskammern, wo die Dorfbewohner im Notfall, z. B. während einer Belagerung, ausharren konnten. Die Bauern setzten als Eigentümer und „Architekten“ stets praktischen Nutzen vor Verzierung, Schutzfunktion vor Dekor. Im Gegensatz dazu bestimmt bei dem Bau einer „Ritterburg“ der adlige Bauherr Bauweise und Ausstattung, zu der in der Regel ein Palas, Kemenaten, Küche und Gesindeunterkünfte neben Insignien der Macht (Bergfried, Wappen etc.) gehören.

Europäische Werte

Bildung: Neben jeder Kirche steht eine Schule. Wenn man im „Navi“ eine Ortschaft eingibt und auf „Ortsmitte“ klickt, kommt man in den allermeisten Fällen vor einem Gebäudeensemble zu stehen, dass aus Kirche, Pfarrhaus und Schulgebäude besteht. Die Vorläuferschule des heutigen Brukenthal-Gymnasiums in Hermannstadt wurde bereits im Jahre 1380 urkundlich erwähnt, der Schulbesuch war für sächsische Kinder beiderlei Geschlechts seit 1722 Pflicht. Neben dem Pfarrer, der oft gleichzeitig Lehrer war, als oberster moralischer Instanz, gab es nur die Nachbarschaftsältesten, um kleinere Streitigkeiten zu schlichten und zu sanktionieren. Dies passierte meist am Richttag, den die Nachbarschaften einmal im Jahr abhielten. Beide wurden von den Gemeindemitgliedern gewählt.

Brukenthal-Gymnasium im Kirchhof der ev. Stadtpfarrkirche

Zu den von den ungarischen Königen zugestandenen Privilegien gehörte eine eigene Gerichtsbarkeit. Auch ihre sog. Königsrichter wählten die Sachsen selber und waren auf dem „Königsboden“ von unliebsamen adligen Grundherren frei. Es gab jedoch auch hörige Dörfer, die diese Freiheit – wie die meisten anderen Bauern in Europa – nicht genossen. Die Solidargemeinschaft der „Nachbarschaft“ basierte auf Gleichheit. Es war auch jeder gleichermaßen verpflichtet, sich hier einzubringen. Neben praktischen Aufgaben, wie Instandhaltung der Brunnen und Straßen, gehörte auch gegenseitige Hilfe dazu, etwa bei Hausbau, bei Hochzeiten und Beerdigungen. Jeder wusste, wieviele Hühner zum Hochzeitsmahl beizusteuern waren, wieviele Windeln zur Geburt und wem es zukam, den Sarg mit zu schultern. Viele Nachbarschaften benutzten den gleichen Ofen oder hatten, selbst in der Stadt, einen gemeinsamen Backtag. Dazu kam ggf. noch die soziale Versorgung von Kranken, Witwen und Waisen, sowie letztlich die Einhaltung der sittlichen Ordnung und der religiösen Bräuche (seit 1775 Religionsfreiheit).

Anzahl und Auswahl der Kirchenburgen

Die mittelalterliche sächsische Kirchenburgenlandschaft in Siebenbürgen, die in über 800 Jahren entstanden ist und sich, je nach praktischer Anforderung, oder aber infolge von Zerstörung durch Angriffe und Naturkatastrophen fortlaufend verändert bzw. weiterentwickelt hat, umfasst je nach Zählungs- und Betrachtungsweise zwischen 100 „gut erhaltenen“ Anlagen bis zu 300, die mindestens zeitweise von Siebenbürger Sachsen genutzt worden sind. Dabei wird unterschieden zwischen Kirchenbauten innerhalb der großen Städte und denen im ländlichen Gebiet; dort zwischen solchen innerhalb des Dorfes oder außerhalb, im Sinne von bäuerlichen Fluchtburgen. Es gibt sowohl befestigte Wehrkirchen, als auch Kirchenburgen mit Verteidigungsanlagen wie Türmen und Ringmauern, wiederum sind bei vielen Kirchen Teile der Befestigungsanlagen irgendwann rückgebaut worden, oder ganz verschwunden. An etlichen Orten wurde die ursprüngliche Kirche infolge von Baufälligkeit oder nach einem Erdbeben ganz und gar erneuert.

Dazu kommen Sonderfälle wie Gräfenburgen, die ursprünglich in Adelsbesitz waren und erst später von der sächsischen Bevölkerung z. B. gekauft wurden, und solche Ortschaften, wo die ursprünglich sächsische Kirche nach Weggang oder Aussterben der Sachsen (z.B. Pest) von anderen Bevölkerungsgruppen weiter genutzt wurde. 

Ziel dieses Projektes ist es, ca. 200 Kirchen und Kirchenburgen virtuell begehbar abzubilden. Neben den bekannten, teils zum UNESCO-Weltkulturerbe zählenden, gut erhaltenen oder restaurierten Kirchenburgen, werden Beispiele aus allen oben genannten Kategorien gezeigt, aus allen Epochen und in nahezu jedem Bauzustand. Von Bauwerken, die dem Verfall preisgegeben sind und/oder entweiht wurden, über solche, die von einer neuen Gemeinde anderer Konfession gepflegt werden bis hin zu den Bauwerken, die in jüngster Zeit restauriert werden konnten. Die Mehrzahl der Anlagen befindet sich jedoch in mehr oder minder originalem Zustand und harrt dringend erhaltender Baumaßnahmen.

Wen möchten wir ansprechen – Zielgruppe

Alle Organisationen, die sich für den Erhalt der Kirchenburgen einsetzen, haben sich auf die Fahnen geschrieben, den Tourismus in der Region anzukurbeln. Ziel dieser Website könnte es u.a. sein, Touristen für die Region zu interessieren, die außerhalb Transsylvaniens noch immer nicht sehr bekannt ist.  Auch können etwa Reiseveranstalter und -büros sich vorab  ein Bild machen vom aktuellen Zustand der Kirchen in der Gegend, in der sie Reiseangebote machen wollen. Schon jetzt laufen verschiedene Projekte an Universitäten und Fachschulen, die sich um Architektur, Geschichte, Archäologie und Restauration bemühen. Auch hier kann ein Überblick sinnvoll sein, wie die Baudenkmäler sich nicht nur von außen präsentieren – hiervon gibt es viele Abbildungen -, sondern vor allem, welcher Zustand drinnen zu erwarten ist. Auch die vielen engagierten Heimatortsgemeinschaften haben daran vielleicht ein Interesse. Anders als in einem Film möglich, können für den jeweiligen Betrachter bedeutende Details durch Heranzoomen eingehend in Augenschein genommen werden. Nicht zuletzt ist es eine Möglichkeit für Ausgewanderte in aller Welt, ihre Heimatkirche wenigstens via Internet einmal wieder zu besuchen. Die Coronazeit mit den Reisebeschränkungen hat vielerorts die Entwicklung virtueller Besuche, z. B. von Museen, durch Panorama-Fotografie vorangetrieben. Und für die, die das „Kirchenburgenfieber“ erfasst hat, und die erwartungsvoll vor dem – wieder mal – verschlossenen Tor einer sächsischen Kirchenburg stehen, ohne dass ein Schlüssel zu erlangen wäre, ist es vielleicht ein Trost, wenigstens auf dem Handy einen Blick hinein tun zu können.

Interaktive sphärische Panoramen – augmented reality

Bei einem sphärischen Panorama erhält der Betrachter einen Rundumblick (360°), bei dem er im Zentrum einer Kugel steht und der Zenith sich genau über ihm und der Nadir auf seiner Stehfläche befindet. Entspricht die Stehfläche (wie üblich) einer Ebene, liegt der Betrachtungswinkel bei 180°, andernfalls erweitert sich dieser Winkel entsprechend. Man spricht dennoch von einem 360° x 180° Panorama, bei dem die sichtbare Fläche eines Raumes auf der Innenfläche einer Halbkugel abgebildet wird.

Um den räumlichen Eindruck zu vermitteln ist ein Seh-/View-Programm erforderlich, mit dessen Hilfe sich der Betrachter in diesem Halbkugelraum seitlich und vertikal bewegen und mittels Zoomen die Bildausschnitte ansehen kann, die ihn interessieren. Durch diese Aktivität ergibt sich ein neues virtuelles Bilderlebnis, das interaktive sphärische Panorama. Bei einer Präsentation auf einem Monitor, Tablet oder Smartphone können die Bilder mit weiteren Elementen, wie Klängen, eingeblendeten (normalen) Bildern oder Videosequenzen, Text-Informationen und Verlinkungen angereichert werden. Ja, mehrere Panoramen können mit Knoten-Punkten zu einer Besichtigungstour in der Art von Google Street View verbunden werden. Das führt zu dem etablierten Ausdruck der erweiterten Realität (augmented reality).

Wie entstehen sphärische Panoramen?

Jedes sphärische Panorama wird aus mehreren Einzelbildern zusammengesetzt. Dabei bestimmt der Aufnahmewinkel des Objektivs die Anzahl der vertikalen (= Zeile) bzw. horizontalen (= Spalte) Bilder, die mit geeigneten Rechenprogrammen zusammengefügt („gestitcht“) werden.

Bei Rundum-Aufnahmen können gerade bei Innenaufnahmen in unbeleuchteten Kirchen, aber auch bei Außenaufnahmen mit Gegenlicht, sehr starke Lichtunterschiede auftreten, die zu unter- bzw. überbelichteten Bildern führen. Dieses sogenannte „Rauschen“ kann mit geeigneten Belichtungsreihen und Rechenprogrammen abgemildert werden.

fertiges HDR-Bild

Beispiel: Belichtungsreihe mit 5 verschiedenen LW (Lichtwerten): (1) normal belichtet, (2)  -4 LW, (3) -2 LW, (4) +2 LW, (5) +4 LW desselben Objekts führt zu mehr erkennbaren Strukturen im extremen Belichtungsbereich. Die auf diese Weise erzielten Bilder nennt man HDR-Bilder (High Dynamic Range Image).

Die Steuerung der Belichtung darf aber nicht durch geänderte Blendenwerte erfolgen, weil der Blendenwert die Tiefenschärfe beeinflußt. Je größer die Blendenzahl, desto größer ist die Tiefenschärfe, d. h. der Blendenwert muss für alle Bilder eines Panoramas gleich sein, weil unscharfe Bilder schlechter oder gar nicht zusammengefügt werden können.

Für ein 360° x 180° – Panorama benötigt man je nach Objektiv 2 oder mehr horizontale Aufnahme-Zeilen und 4 oder mehr vertikale Aufnahme-Spalten. Hier sind 2 Zeilen und 8 Spalten eingesetzt worden:

Wir benutzen ein relativ lichtstarkes Weitwinkelobjektiv (Nikkor 20 mm, F/1,8) mit einem Aufnahmewinkel von 94° auf einer FX-Format Spiegelreflexkamera (Nikon D850). In dieser Konfiguration setzen wir ein Panorama aus 16 HDR-Einzelbildern auf, wobei je 8 Bilder in zwei Zeilen aufgenommen werden. Dafür machen wir 2 x 8 x 5 = 80 Einzelaufnahmen.

Aus den beiden gestitchten Zeilen (links: untere Zeile; rechts: obere Zeile) …

… entsteht ein „fertiges aufgeklapptes“ Panorama-Bild:

Den sphärischen Eindruck finden Sie unter Hermannstadt, ev. Stadtpfarrkirche – Saalmitte.

Die Webseite

Auch eine Internet-Seite zu erstellen, ist für den Laien nicht einfach. Für ihre geduldige Unterstützung bei den ersten und vielen weiteren Schritten bedanken wir uns bei den ebenfalls aus Siebenbürgen stammenden:

  1. Christian Ehrlich, Leipzig
  2. Michael Roth, 84558 Kirchweidach, Haider Str. 15, DESKTOP PUBLISHING, http://www.roth-dtp.de

Schlußbemerkung

Charles Boner schrieb nach seiner Reise in Siebenbürgen 1863/1864 :

„Die Kirchen wurden von den Bürgern gebaut, gewöhnlichen einfachen Bauern, die entweder selbst oder von deren Vätern hierhergekommen waren, um dem Druck der Tyrannei in einem anderen Land zu entgehen. Es sind sozusagen Bürgerkirchen; sie erhielten ihren eigentümlichen Charakter von dem Charakter ihrer Erbauer, sowie von den Umständen und den Verhältnissen, unter denen sie aufgeführt worden … Die Rücksicht auf Zwecke der Verteidigung war auch ein Grund, warum mehr auf Festigkeit im Bau als auf Schmuck gesehen wurde, und warum wir an diesen alten befestigten Sachsenkirchen alles kräftig grob gearbeitet, stark und all jenes architektonischen Schmuckes bar sehen, welchen die Bauten dieser Art in anderen Ländern dem Auge immer darbieten.“

„Diese befestigten Kirchen sind Denkmäler, welche die Sachsen mit Stolz erfüllen sollten. Es sind … ihre schönsten und besten, ja ihre einzigen Denkmäler. Sie geben beredtes Zeugnis … von dem Mute, der Aufopferung und der Energie ihrer schlichten Vorfahren, dieser einfachen Bauern; haben sie doch diese Bauten ohne fremde Hilfe, ganz allein durch ihre eigene Geschicklichkeit und Ausdauer entworfen und ausgeführt.“

aus „Charles Boner und die Siebenbürger Sachsen“, Monumenta-Verlag Hermannstadt, überarbeitete Neuauflage, Februar 2019